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Beurteilung Alzheimermedikamente

Das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat den Stellenwert der verschiedenen Medikamente zur Therapie der Alzheimer Demenz untersucht und beurteilt. Das Resultat der Untersuchung zeigt: Nur von wenigen Therapie können Patienten nachweislich profitieren.

Pressemitteilung

Alzheimer Demenz: Nur von wenigen Therapien können Patienten nachweislich profitieren

Dr. Anna-Sabine Ernst, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

10.09.2009 15:37

Cholinesterasehemmer und Ginkgo können einige Symptome lindern / Nichtmedikamentöse Ansätze sind zuwenig untersucht / Forschungsförderung deutlich verstärkt
Noch immer gibt es keine Therapie, die Alzheimer Demenz entscheidend beeinflussen und damit dem schleichenden Vergessen langfristig Einhalt gebieten könnte. Durch Studien belegt ist lediglich, dass einige Medikamente kurzfristig bestimmte Symptome etwas lindern oder ihr Auftreten hinauszögern können. Für die Wirksamkeit der vielfältigen nichtmedikamentösen Verfahren fehlen entsprechende wissenschaftliche Nachweise. In den vergangenen Jahren wurde die Forschungsförderung für Alzheimer Demenz jedoch deutlich verstärkt. Trägt sie Früchte, könnten sich auf längere Sicht auch die Möglichkeiten der Therapie verbessern. Für eine wirklich erfolgreiche Demenzbehandlung werden aber wahrscheinlich ganz neue Ansätze notwenig sein.

Dieses Resümee zieht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zum Abschluss eines umfassenden Auftragspakets zum Thema Alzheimer Demenz. Auf Wunsch des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hatte das Institut untersucht, welchen Nutzen - und welchen Schaden - verschiedene Therapieangebote für Patientinnen und Patienten haben können. Auf den Prüfstand kamen dabei sowohl die Arzneistoffe Cholesterinesterasehemmer, Memantin und Ginkgo biloba als auch eine Vielzahl von nichtmedikamentösen Therapien, wie etwa das Angehörigentraining und kognitive Verfahren.

Nutzen ist nur für einzelne Aspekte belegt

Wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG in Zusammenarbeit mit externen Sachverständigen feststellten, haben Arzneistoffe aus der Gruppe der Cholinesterasehemmer positive Effekte auf die sogenannte Kognition. Patientinnen und Patienten in einem leichten oder mittelschweren Stadium der Erkrankung, die in Studien einen Cholinesterasehemmer über mindestens vier Monaten einnahmen, konnten sich beispielsweise Dinge besser merken als die Erkrankten, die ein Scheinmedikament einnahmen.

Auf die Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen, scheinen sich dagegen Ginkgo biloba enthaltende Präparate günstig auszuwirken, sofern sie hoch genug dosiert werden (240 mg täglich). Auch hier fand das IQWiG Belege in Studien mit leicht oder mittelschwer Erkrankten. Allerdings bleibt die Größe des Effekts unklar, weil die Ergebnisse in den einzelnen Studien sehr unterschiedlich ausfielen.

Dass Patientinnen und Patienten profitieren können, ist aber jeweils nur für solch begrenzte Therapieziele nachgewiesen. Für andere Behandlungsaspekte, wie etwa Begleitsymptome (z.B. Unruhe, Depression), Lebensqualität oder Pflegebedürftigkeit, liefern die Studien entweder keine entsprechenden Belege oder die Daten sind nicht hinreichend sicher interpretierbar - in einigen Fällen wurden sie auch gar nicht erhoben.

Kein Nutzen-Nachweis für Memantin

Bei der dritte Gruppe von Alzheimer-Medikamenten, beim Wirkstoff Memantin, ist für keinen Aspekt der Erkrankung der Nachweis erbracht, dass Patienten von diesem Wirkstoff mehr profitieren als von einem Scheinmedikament - auch nicht für die Gedächtnisleistung oder die Alltags-Kompetenz.

Memantin ist zur Behandlung der mittelschweren und schweren Alzheimer Demenz zugelassen. Zwar kann auch Ginkgo bei diesen Patienten verordnet werden. Ob und wie gut Ginkgo bei den schwerer Erkrankten wirken, lässt sich auf Basis der verfügbaren Studiendaten aber nicht eindeutig sagen. Denn speziell auf diese Patientengruppe ausgerichtete Studien fehlen.

Langzeiteffekte der Medikamente bleiben unklar

Obwohl die drei genannten Medikamente vergleichsweise untersucht sind, gibt es deutliche Forschungslücken: Der überwiegende Teil der Studien hatte eine Laufzeit von maximal einem halben Jahr, sodass unklar bleibt, welche Effekte die Präparate bei einer längeren Anwendung haben. Das gilt auch und gerade für unerwünschte Nebenwirkungen, die insbesondere bei den Cholinesterasehemmern erheblich sein können (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall).

Zudem fehlen aussagekräftige Studien, die die Arzneistoffe untereinander oder mit nichtmedikamentösen Therapien vergleichen.

Großer Nachholbedarf bei guten Studien zu nichtmedikamentösen Verfahren

Noch gravierender sind Forschungsdefizite allerdings bei den nichtmedikamentösen Therapien: Zu geringe Forschungsmittel und eine unterentwickelte Studienmethodik führen dazu, dass auch für Verfahren, die Potenzial haben, keine zuverlässigen Aussagen getroffen und damit auch keine Belege für einen Nutzen erbracht werden können.

Die Vielfalt der Ansätze ist groß und einige erscheinen auch vielversprechend: Gedächtnisübungen oder Alltagsaktivitäten in der Gruppe gehören ebenso dazu wie Schulung von Angehörigen. Zwar fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine ganze Reihe von Studien. Schwächen bei der Planung oder Durchführung führten jedoch dazu, dass die Ergebnisse nicht zuverlässig interpretierbar waren. Einen Beleg für den Nutzen eines der Verfahren konnte das IQWiG deshalb nicht feststellen.

Breiter Einsatz ohne Nutzenbeleg ist nicht zu rechtfertigen

Was die Studienmethodik betrifft, hinken die nichtmedikamentösen Verfahren allerdings generell den Arzneimitteln hinterher. Ein wichtiger Grund für den Rückstand ist, dass es hier kein Zulassungsverfahren und damit auch keine Behörde gibt, die Studien mit einem methodischen Mindeststandard einfordert. Anders als in der Pharmabranche fehlen in der Regel auch finanzstarke Großunternehmen, die Studien finanzieren.

Jedoch deshalb bei bestimmten Therapien eine Ausnahme zu machen und sie ohne Nutzenbelege breit einzusetzen, ist aus Sicht des IQWiG nicht zu rechtfertigen. Denn ungenügend evaluierte Therapien können Patienten psychisch und körperlich schädigen und die Solidargemeinschaft unnötig finanziell belasten.

Forschungsförderung könnte Entwicklung neuer Therapien vorantreiben

'Was uns in Deutschland fehlt, ist eine öffentliche, von der Industrie unabhängige Forschungsfinanzierung für Fragestellungen, die für die Behandlung der Patienten wichtig sind. Das macht sich bei bestimmten Therapieansätzen zur Alzheimer Demenz besonders schmerzlich bemerkbar', sagt IQWiG-Leiter Prof. Dr. med. Peter Sawicki. 'Wir müssen endlich öffentliche Geldquellen für kontrollierte klinische Studien erschließen.'

Zumindest im Fall der Alzheimer Demenz wurden in den vergangenen Jahren die Weichen neu gestellt: Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat Ende 2007 ein eigenes Forschungsförderungsprogramm aufgelegt. Das 'Leuchtturmprojekt Demenzen' vergibt im Themenfeld 'Sicherung einer evidenzbasierten Versorgung' auch Gelder für die 'systematische Auswertung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse'. Ende Juni 2009 nahm in Bonn das ebenfalls mit staatlichen Mitteln finanzierte Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) seine Arbeit auf. Der Etat von 60 Millionen € pro Jahr wird vor allem in die Erforschung von Demenz fließen.

Seit 2008 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) darüber hinaus das Kompetenznetz Degenerative Demenzen (KNDD). Derzeit drei Forschungsverbünde widmen sich vor allem der Entstehung und dem Verlauf der Alzheimerschen Krankheit. Über einen Zeitraum von 12 Jahren stehen ihnen dafür insgesamt 50 Millionen € zur Verfügung.

Institutsleiter Peter Sawicki sieht darin einen Schritt in die richtige Richtung: 'In einigen Jahren werden wir vermutlich einige Forschungslücken geschlossen haben.' Zugleich warnte er aber auch vor überzogenen Hoffnungen: 'Vielleicht werden wir irgendwann Demenzpatienten heilen können. Bis dahin kommt es aber darauf an, die Patienten sozial und pflegerisch besser zu betreuen und Angehörige zu entlasten. Wir brauchen gesichertes Wissen darüber, mit welchen der vorhandenen Möglichkeiten wir ihnen am besten helfen können. Dafür ist es wichtig, versorgungsrelevante Therapie- und Betreuungsansätze besser in Studien zu untersuchen.'

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